In einer
Truhe auf dem Dachboden fristen alte Bücher ihr tristes Dasein und
träumen von einem Paradies der Bücher. Der kleine FAUST, ein
angekokeltes Reclam-Bändchen, glaubt unbeirrbar daran. Eines Tages
hört er Stimmen in der Nähe und jemand öffnet den Truhendeckel.
Sollte wirklich ein Wunder geschehen?
ca.
2.100 Wörter
ISBN: 978-3-7438-7913-3 | ASIN: B07GXF8636 | 1,49 Euro
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Ein leises Geräusch drang durch das stille Nichts.
„Trommeln! Trommeln in
der Dunkelheit!“, flüsterte eine Stimme unheilvoll. „Sie kommen!
Sie kommen!“
Und wirklich, jenseits des schwarzen Nichts hörten
sie Schritte auf der Treppe, dann das bekannte Quietschen der Tür
zum Dachboden.
„Sie werden kommen und uns holen!“, jammerte eine andere Stimme voller Angst. „Sie werden uns packen und dann verschleppen.“ Verängstigt verbarg sich Sturmhöhe hinter Frankenstein. „Uns wird es am Ende so ergehen wie dem kleinen Faust. Oder noch schlimmer!“
„Das war ein Unfall!“,
protestierte das Reclam-Buch. Es wedelte mit den angekohlten Seiten.
„Nur ein Experiment, welches etwas schief gegangen ist, so wahr ich
Faust der Tragödie 1. Teil bin.“
„Ah ja, hat dein
Lesekundiger mit dir die Szene in der Hexenküche nachgespielt?“,
gab keck ein Jugendbuch zurück.
„Meine Lesekundigen!“,
trumpfte der Reclam-Faust auf. „Die Betonung liegt auf der
Mehrzahl!“
„Pah – erzwungene Schulliteratur! Mich hat man
freiwillig gelesen!“, blähte sich Alfons Zitterbacke auf, dass die
Seiten nur so raschelten.
Der Vorleser neben ihm stöhnte genervt. Jetzt ging das schon wieder los.
Der Streit zwischen den beiden schien einmal mehr aufzuflammen, und für einen Moment vergaßen alle Bücher in der Truhe die drohende Gefahr. Doch der Herr der Ringe erinnerte sie daran: „Still, Schicksalsgefährten! Sie sind da!“
Im selben Augenblick wurde der Deckel der großen Truhe geöffnet. Licht fiel auf die vielen Bücher, die hier ihr trübes Dasein fristeten.
Sofort verstummten alle und verharrten in starrem Bangen.
Ein Schatten über ihnen
verdunkelte das Licht, das von einem runden Dachfenster genau auf die
Bücher fiel. Für einen kurzen Augenblick wurden alle geblendet. Sie
konnten nicht sehen, wie weitere Bücher in die Truhe gelegt wurden,
aber sie spürten die Anwesenheit der Fremden.
Dann schloss sich
der Deckel wieder.
Das Schweigen in der
erneuten Dunkelheit hielt an. Keines der Bücher rührte sich. Doch
jedes der einzelnen Werke grübelte voller Neugier, wer die
Neuankömmlinge sein mochten.
Schließlich ergriff mit weiser
Stimme das alte Lexikon das Wort: „Guten Tag, Fremde!“, wandte es
sich an die Neuen, „Sagt, wer seid ihr und welches Schicksal ist
euch widerfahren, dass ihr hier in dieser Truhe stranden musstet?
Hier, am Ende aller Dinge?“
„Hey, das ist mein
Text!“, grummelte der Herr der Ringe.
„Still!“, zischte
Faust. „Sei nicht so kleinlich. Was meinst du, wie oft man aus mir
Sätze verwendet. Lass die anderen doch zu Wort kommen!“
„Ja,
ja, es war einmal.“ Das dicke Gebrüder Grimm Märchenbuch seufzte
verträumt.
Es raschelte, als würden Seiten umgeblättert.
„Aber
nein“, hörten die Bücher eine unbekannte und sanfte Stimme. Ein
Hauch von Sehnsucht lag darin, die an Bäume und Vögel im Frühjahr
erinnerte oder an eine Wiese im Sommer.
„Ganz im Gegenteil. Wir
sind hier nur vorübergehend, nicht wahr meine liebe Grete
Minde!“
„Aber ja, natürlich!“, erklang eine zweite fast
noch kindliche Stimme. „Wir werden zurück gebracht, zurück in das
Paradies der Bücher!“
„Paradies der Bücher?“, echote der
Duden verdutzt. In Gedanken ging er seine endlosen Seiten durch, bis
er bei P angelangt war: Paradies, nur Singular: der Garten Eden,
Himmel; übertragen für Ort der Seligkeit. Von einem Paradies der
Bücher stand da nichts.
Fortsetzung in Teil 2 "Faust im Bücherparadies"