Der King und der Außenseiter


Oliver stellte bereits in der Schulzeit fest, dass er schwul war. Zu seinem Pech verliebte er sich in den heißesten Typen seines Jahrgangs, der kein Interesse am selben Geschlecht zeigte.

Oliver blieben nur Tagträume und die Aussicht, nach der Schule Ray vergessen zu können.
ca. 2.100 Wörter

ISBN: 978-3-7438-7814-3 | ASIN: B07GP9XHXW | 0,99 Euro


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LESEPROBE

Keiner konnte sagen, dass er nicht der King wäre. Er sah gut aus, war unter den Mitschülern beliebt, hatte einen wachen Verstand, den er, zugegebenermaßen, nützlicher einsetzen könnte, wie die Lehrer zu sagen pflegten. Sein Charme bewirkte Ohnmachtsanfälle bei den Mädchen und selbst gestandene Lehrerinnen schauten ihm manchmal gedankenverloren hinterher. Die Nerds hassten ihn, die Jungen bewunderten ihn und die Schüler der unteren Jahrgänge beteten den Boden unter seinen Füßen an. Er war eindeutig der King!

So stolzierte Ray einmal mehr über den Schulhof, im Schlepptau die besten Freunde. Sie überschlugen sich ihm Zigaretten anzubieten, Feuer zu geben. Jeder wollte ein klein wenig von Rays Glanz abhaben. Als sie an einer Gruppe kichernder Mädchen vorbeikamen, griff sich Ray wahllos eine von ihnen heraus, legte seine starken Arme um sie und schenkte ihr einen Teil seiner Aufmerksamkeit, bis er sie wieder, mit einem flüchtigen Kuss, zu ihrer Gruppe entließ.

Von der anderen Seite des Schulhofes, halb im Schatten einer Platane verborgen, beobachtete Oliver Rays Hofstaat. Er neidete den Mitschülern den Kontakt, den er sich so sehr wünschte. Ray, der King! Er hasste ihn dafür, ein Angeber, ein Miststück, so schön und begehrenswert zu sein. Mit seinem Außenseiterdasein hatte sich Oliver schon lange abgefunden, mit der Erkenntnis, nicht so zu sein wie die anderen gleichaltrigen Jungs, weniger. Und dann verguckte er sich auch noch ausgerechnet in den King. Wenn es ein beispielhaftes Exemplar eines Heteros gab, dann wohl Ray.

Endlich wandte Oliver seinen Blick von dem Jungen, den er nicht haben konnte, ab. Mit gesenktem Kopf, die Hände in den Hosentaschen, ging er ins Schulgebäude zurück. Noch eine Woche, dann war die Schulzeit zu Ende. Er würde Ray niemals mehr aus der Ferne bewundern können, niemals mehr seine Stimme hören. Es würde ihn aber auch niemals mehr sein Sarkasmus treffen, die Verachtung, die er für jeden Außenseiter übrig hatte. Andere Schüler strebten gleichfalls dem Eingang zu, rempelten ihn an, schubsten ihn weg. Gerüchte verbreiteten sich schnell. Dass er schwul war, ging wie ein Lauffeuer um. Noch eine Woche, dann war er hier weg und erlöst.

Oliver hörte Rays Stimme hinter sich. Dieser war mit seinen Begleitern nur noch wenige Meter entfernt. Mädchen überholten die Gruppe lachend und ignorierten Oliver, während sie noch einmal zurückschauten. „Gott, der ist so süß!“, hörte er sie schwärmen.

Oliver spürte den beschleunigten Herzschlag. Seine Nackenhaare stellten sich auf und ein wohliger Schauer lief über seinen Rücken. Rays Nähe hatte immer diese Wirkung auf ihn. Dann war der King genau auf seiner Höhe, drängte sich in der Enge des Flurs an ihm vorbei. Olivers Finger streckten sich ein wenig, gerade genug, um Ray, als der ihn überholte, zu berühren. Eine flüchtige Geste, nicht mehr als die Fingerspitze, die den Stoff der Hose streifte, aber für Oliver war es ein kleiner stiller Sieg. Schon mehrfach hatte er sich die eine oder andere Berührung erschlichen. Mehr blieb ihm nicht von seinen farbigen Tagträumen. War das Liebe? Nicht zum ersten Mal stellte sich Oliver diese Frage.

Er ließ sich absichtlich zurückfallen, um den kostbaren Moment so lange wie möglich nachwirken zu lassen. Vor ihm leerte sich der Flur und auch Ray war mit seinem Gefolge bereits in einen der Klassenräume verschwunden. Nachzügler überholten Oliver, bis der sich endlich zusammenriss und seinen Unterrichtsraum aufsuchte.