Sie sind gerade 17 und beide zum ersten Mal unsterblich verliebt. In diesem Zustand scheint nichts unmöglich zu sein. Keine Liebe berührt mehr als die erste. Keine Liebe macht euphorischer und verletzbarer als sie. Diese Erfahrungen müssen auch Sven und Jo durchleben.
Und dann war da noch das Problem mit Svens Outing.
ca. 10.200 Worte
ePUP-Format
(erhältlich in diversen Online-Shops wie z.B. Thalia | Hugendubel)
LESEPROBE
Das
Leben ist wie eine Achterbahnfahrt. Mal befindest du dich im
euphorischen Höhenflug, mal rast du in die Tiefe, nie ganz sicher,
ob du vor dem Aufprall abgefangen wirst.
Einen
solchen Absturz erlebte ich, als ich merkte wie schwer es mir fiel,
den Erwartungen meiner Umgebung gerecht zu werden. Es dauerte eine
Weile, bis ich mir eingestand, dass mein sexuelles Interesse sich
nicht auf das andere Geschlecht bezog, sondern auf mein eigenes. Erst
kurz bevor ich an die Berufsschule ging, war ich für mich in der
Lage meine Orientierung ohne Verbitterung zu benennen. Ich war
schwul. Kein Grund, es an die große Glocke zu hängen.
Dann
nahm meine Achterbahn wieder Fahrt auf, genau in dem Moment, als ich
Jo begegnete, der zur selben Zeit in der Berufsschule war. Im
Gegensatz zu mir, machte er kein Geheimnis aus seiner sexuellen
Orientierung. Es war nicht so, dass er in der Pause Regenbogenfahne
schwingend durch die Flure lief, doch wann immer die Diskussion
aufkam und es um oder gar gegen Schwule ging, stand er
leidenschaftlich auf. Erstaunlicherweise gab es daraufhin kaum
Anfeindungen. In der Hinsicht war unsere Schule etwas Besonderes.
Ich
fühlte mich mehr und mehr zu ihm hingezogen. Zu meinem Glück
erwiderte Jo das Interesse. Doch zunächst waren wir nur Freunde, die
hin und wieder gemeinsam etwas unternahmen. Später, im
Abschlussjahr, wurde es mehr. Ich war zum ersten Mal unendlich
verliebt. Das war keine Schwärmerei, kein Strohfeuer. Was ich für
Jo plötzlich empfand ging so tief in mich hinein, dass es fast
schmerzte. Ein lieblicher, bitter süßer Schmerz. Es war wie ein
Rauschzustand.
Die
erste große Liebe; selbstlos und egoistisch zugleich. Das war also
mit Schmetterlingen im Bauch gemeint. Ich wollte alles, aber ich
traute mich noch nicht so richtig, aus Angst, ich würde zu viel
riskieren. In Jos Augen stand dieselbe Sehnsucht geschrieben, seine
Körpersignale waren eindeutig. Wir waren wie Magneten, die ab einer
bestimmten Nähe unweigerlich aufeinander zurasten und aneinander
festklebten.
Was
sich zwischen uns entwickelt hatte, wollten wir nicht durch hastigen
und unbeholfenen Sex zerstören. Vor uns lag noch ein ganzes Leben.
Dachten
wir.
Da
wir beide noch bei den Eltern wohnten, mussten wir uns einen Freiraum
schaffen, in dem wir wenigstens etwas unter uns sein konnten. In der
warmen Jahreszeit gab es Parks und idyllische Plätzchen. Freilich,
über streicheln und küssen kamen wir nie hinaus. Im Hintergrund
lauerte unsere eigene Unsicherheit. Als es kälter wurde, probierten
wir verschiedene Kinos aus und fanden schließlich eines, in dem spät
am Abend hauptsächlich anspruchsvolle Filmkunst gezeigt wurde.
Entsprechend mäßig besetzt waren die Kinoplätze. Wir drückten uns
in der letzten Reihe in der Ecke herum. Ein großer Teil des Geldes
ging also für Eintrittskarten drauf, da wir Stammgäste im Kino
wurden.
In
uns steckte weiterhin zu viel Unwissenheit, zu viele Hemmungen, zu
viel Angst. Dabei nahm unsere Sehnsucht ‚es‘ zu tun von Woche zu
Woche zu. Unser Verlangen wuchs. Manchmal, wenn ich dann in der Nacht
wieder allein in meinem Bett lag, tat die Sehnsucht körperlich weh.
Ich versuchte den Druck loszuwerden – und versagte. Mich
frustrierte das und die Angst im entscheidenden Moment ähnlich
kläglich zu versagen, baute sich wie eine unüberwindbare Hürde vor
mir auf. Bis zum Ende des ersten Berufsschuljahres hatte sich meine
Versagensangst und Frustration bis zur Höhe des Himalayas
aufgestaut. Irgendwann fragte mich Jo, was mit mir sei und ließ
nicht locker, bis ich ihm meine Angst gestand. Ich war mir sicher,
dass er nicht so eine Lusche war wie ich. Doch Jo strich mir sanft
über die Wange, küsste mich und offenbarte mir, dass es ihm ähnlich
erging und wir uns unter diesen Umständen nicht verrückt machen
sollten. Mein Himalaya schrumpfte, zumindest bis zur Größe der
Alpen.
Nach
Weihnachten eröffnete sich uns eine neue Möglichkeit. Mein älterer
Bruder zog in eine eigene Wohnung. Ich durfte die Dachkammer
übernehmen, die zur elterlichen Wohnung im alten Mietshaus gehörte
aber separat neben dem Trockenboden ausgebaut worden war. Als jetzt
ältestes noch bei der Familie wohnenden Kinder und Berufsschüler,
stand mir das Privileg zu, die Dachkammer zu übernehmen. Eigentlich
wäre es das perfekte Liebesnest. Jo und ich hätten jeden Freiraum,
den man sich nur denken konnte. Doch da gab es zwei gravierende
Probleme. In der Dachkammer befand sich zwar ein kleines Waschbecken,
aber keine Toilette. Ich musste die in der elterlichen Wohnung, eine
Etage tiefer, nutzen. Und zum anderem konnte man vom elterlichen Bad
aus jeden Schritt in der Kammer darüber hören. Nicht nur Schritte!
Ich wollte lieber nicht wissen, was sie zu Geräuschen sagen würden,
die sie eher aus dem elterlichen Schlafzimmer kannten. Und dann erst
meine neugierige Schwester!
Bevor
ich Jo dahin mitnehmen konnte, wollte ich ihn vorsichtig darauf
vorbereiten. Und natürlich renovieren. Daher verriet ich ihm noch
nichts. Es sollte eine Überraschung werden.
Das
mit der Überraschung kam, wenn auch anders als gedacht.